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#StopHateForProfit: Werbung durch Werbeverzicht?

Werbung ist ein Leitinstrument der Markenkommunikation und wird durch die Belegung von Werbeplätzen in öffentlichen Medien erkauft. Im Gegensatz zur Öffentlichkeitsarbeit (PR) bleiben die Kommunikate dadurch unangetastet. Wer bezahlt, der entscheidet auch über die Inhalte. Nicht unerheblich ist dabei die Entscheidung über Werbedosis und Medium. Medienvermarkter propagieren daher nicht uneigennützig, dass eine Erhöhung der Werbekontaktdosis in den relevanten Medien auch ausschlaggebend für die Kampagnenwirkung sei.

Einen anderen Weg verfolgen Markenartikler nun als Unterstützung der von der Anti Defamation League (ADL) initiierten Kampagne #StopHateForProfit. Hintergrund ist der Vorwurf, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg würde zu wenig gegen diffamierende Hasskommentare in seinen sozialen Netzwerken unternehmen. Bis zum 1. Juli 2020 stoppten 135 Unternehmen ihre Werbung und machten diesen Boykott zum Thema ihrer Kommunikation. Ein (Er-)Klärungsversuch.

What Business Are You Really In?

Ein Geschäftsmodell beschreibt das Konzept unternehmerischen Handelns. Nahezu jedes Unternehmen entwickelt dabei einen Korridor von Entscheidungen und eine Pfadabhängigkeit für zukünftige Entscheidungen. Wer sich für eine Fleischfabrik entschieden hat, wird damit künftig keine Autos bauen. Ebenso wenig taugt ein als Social Media angelegtes soziales Netzwerk wie Facebook als Nachrichtenkanal.

Kommunikation findet als soziales Ereignis oder überhaupt nicht statt. Mit der Bezeichnung 'soziale Medien' hat sich ein Sprachgebrauch durchgesetzt, der den Eindruck erweckt, als hätten erst seit den 1990er-Jahren bestimmte (digitale) Medien diese Eigenschaft 'sozial' und alle anderen nicht. Nicht sozial, sondern privat-öffentlich ist die Eigenschaft, die solche Medien auszeichnet. Statt Social Media wäre Private-public Media die angemessene Bezeichnung.

Kommunikation im Kaninchenloch

Die Bedeutung von Facebook als Nachrichtenmedium wächst trotzdem stetig und damit die Verbreitung von unlauteren, diffamierenden und falschen Meldungen. Was unter Bezeichnungen wie Echokammern und Filterblasen diskutiert wird, trifft auf Unterhaltung immer schon zu. Die Frage ist, wie sehr die Rezipienten oder die von ihnen rezipierten Medien dafür verantwortlich sind. Und vermutlich stecken auch die Beobachter dieser Phänomene in einer eigenen Blase.

Eine zeitlose Beschreibung findet sich in Alice im Wunderland von Lewis Carroll. Dabei gerät die Protagonistin Alice auf den falschen Abzweig und fällt ins Kaninchenloch, in dem sich eine schräge Narration an die nächste anschließt. Youtube beispielsweise hat diese Erkenntnis zur Geschäftsidee seiner Video-Algorithmen entwickelt. Wer sich für etwas entscheidet, bekommt automatisch passende weitere Angebote. Die Digitalisierung automatisiert den Nachschub provozierender Kommunikation. Denn die Inhalte sind den Plattformbetreibern egal. Es geht also um Selektivität und damit um Auswahl und Entscheidung, um dabei zu bleiben und den Anschluss nicht zu verlieren.

Im März 2018, auf dem Höhepunkt des Skandals um den Missbrauch von Facebook-Benutzerdaten durch Cambridge Analytica für politisches Targeting, twitterte Jake Tapper von CNN ein Zitat, das er dem EDV-Sicherheitsexperten Bruce Schneier zuschrieb: "Don’t make the mistake of thinking you’re Facebook’s customer, you’re not – you’re the product. Its customers are the advertisers."

Die Zahlen bestätigen es: Nahezu den gesamten Umsatz von 70 Milliarden Dollar in 2019 verdiente Facebook durch Werbung. Die #StopHateForProfit-Kampagne der ADL nutzt diese Verwundbarkeit des Gegners Facebook für ihr eigenes Geschäftsmodell.

Wieso die Ökonomisierung von Moral auch nach hinten losgehen kann und wieso Kommunikation stattdessen konstitutiv und gestaltend wirke sollte, sagen Prof. Dr. Jürgen Schulz, Dr. Andreas Galling-Stiehler und Dr. Robert Caspar Müller (alle Universität der Künste Berlin) in ihrem Gastbeitrag in markenartikel 9/2020. Zur Bestellung geht es hier.



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vg 23.09.2020