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ZAW, BDSI & Co. kritisieren Studie, die Verbot von Lebensmittelwerbung an Kinder fordert

Ein mediennutzendes Kind sieht in Deutschland durchschnittlich pro Tag 15,48 Werbespots oder -anzeigen für ungesunde Lebensmittel. Davon entfallen 5,14 auf das Internet und 10,34 auf das Fernsehen. Zugleich ist die Zahl der TV-Spots pro Stunde um 29 Prozent gestiegen. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Studie der Universität Hamburg. Durchschnittlich 92 Prozent der Lebensmittelwerbung, die Kinder in Internet und TV wahrnehmen, bezogen sich demnach auf Produkte wie Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten (Fernsehen 89 Prozent, Internet 98 Prozent). Das Wissenschaftsbündnis Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), Berlin, fordert deshalb, Kindermarketing für ungesunde Produkte in allen Medienarten zu untersagen.

Die Studie von Wirtschaftswissenschaftler Dr. Tobias Effertz analysiert die Werbekontakte von Kindern von 3 bis 13 Jahren für den Zeitraum März 2019 bis Februar 2020 für Internet und von Juni bis September 2019 für TV. Grundlagen waren neben eigenen Erhebungen unter anderem Daten von Nielsen Media Research zum Internetsurfverhalten von Kindern und zur Reichweite von Webseiten sowie Daten über rezipierte Werbung. Die Bewertung der Produkte als gesund oder ungesund erfolgte nach dem Nutrition Profile Model der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das eigens für den Bereich Kinder entwickelt wurde. Die Auswertung bezog sich auf die Kinder, die Internet bzw. TV nutzen. Die Studie wurde von der Deutschen Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK), dem AOK-Bundesverband sowie sechs medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen finanziert.

ZAW: Werbeverbote sind kein geeignetes Mittel gegen Übergewicht

Der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW), Berlin, weist die Forderung des Aktionsbündnisses DANK für ein Verbot von Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern zurück. Die Studie Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel in Internet und TV vermittle "den unzutreffenden Eindruck, das Problem von Übergewicht und Adipositas bei Kindern durch Werbeverbote lösen zu können". Sie klammere "die vielfältigen Ursachen für Übergewicht von Kindern vollständig aus" und behaupte, dass Werbung der dominierende Faktor hierfür sei. Dabei liege die Verantwortung für Ernährung, Bewegung oder Bildung von Kindern in erster Linie bei den Eltern und dem sozialen Umfeld. Die Studie verkenne auch die Verantwortung der Eltern für den Medienkonsum von Kindern u.a. in sozialen Netzwerken.

Erfahrungen im Ausland zeigen laut ZAW zudem, dass die Einführung von Werbeverboten nicht zu weniger Übergewicht geführt hat: In Europa, etwa in UK oder in Norwegen, hätten Verbote von Lebensmittwerbung gegenüber Kindern nicht dazu geführt, dass der Anteil übergewichtiger Kinder gesunken ist. In Südkorea sei die Zahl sogar trotz eines eingeführten Werbeverbots gestiegen.

Die Ergebnisse der Studie seien zudem durch "methodische Unzulänglichkeiten erkauft". Der herangezogene Indikator der Ad-Impression sei nicht geeignet, um die getroffenen Aussagen zu belegen. Werbung, die von einem Server technisch ausgeliefert wird, sei nicht gleichzusetzen mit Wahrnehmung oder gar handlungsauslösender Werbewirkung. Beim TV sei es methodisch nicht überzeugend, werbefreie, aber intensiv genutzte Fernsehkanäle aus den Berechnungen auszuklammern.

Der ZAW fordert konstruktive Maßnahmen, die alle Ursachen von Übergewicht und Adipositas bei Kindern angehen. Die zu adressierenden Handlungsfelder seien insbesondere Bildungsarbeit, eine ausgewogene Kita- und Schulverpflegung sowie die nachhaltige Förderung von Bewegung und Medienkompetenz.

BDSI fordert Stärkung der Medienkompetenz statt Werbeverbote

Auch der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. (BDSI), Bonn, hält die von der Deutschen Allianz Nichtübertragbarer Krankheiten (DANK) geforderten Werbeverbote u. a. für Süßwaren für nicht geeignet, um einen Beitrag zur Lösung des gesamtgesellschaftlichen Problems des Übergewichts und damit verbundener Folgekrankheiten zu leisten. Stattdessen sei es vor allem sinnvoll und erforderlich, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

"Niemand wird durch einen Verzicht auf Werbung für Süßwaren schlanker oder gesünder", sagt Dr. Carsten Bernoth, Hauptgeschäftsführer des BDSI. "Die gestiegene Mediennutzung bei Kindern und Jugendlichen, losgelöst von Altersgrenzen der Plattformanbieter, müssen Politik und Gesellschaft endlich zum Anlass nehmen, die Medienkompetenzen zu stärken. Werbeverbote sind hier reine Augenwischerei."

Die Entstehung von Übergewicht sei ein komplexes Geschehen. Allein den Konsum einzelner Lebensmittel oder die Werbung für einzelne Lebensmittel als Ursache zu betrachten, löse das Problem nicht. Wie Lebensmittel beworben werden dürfen, legten zudem umfangreiche nationale und europäische Regelungen fest. Dabei werde der erhöhten Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendlichen besonders Rechnung getragen. Darüber hinaus habe die Wirtschaft selbst freiwillige Verhaltensregeln entwickelt und Maßnahmen der Selbstkontrolle eingerichtet.

Lebensmittelverband: Fokus auf einzelne Lebensmittel nicht zielführend

Der Lebensmittelverband Deutschland, Berlin, warnt ebenfalls vor einem einseitigen Fokus im Kampf gegen Übergewicht und nicht übertragbare Erkrankungen.

"Die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas und nicht übertragbaren Erkrankungen ist multikausal bedingt. Die einseitige Fokussierung auf einzelne Faktoren wie den Konsum bestimmter Lebensmittel ist nicht zielführend und wissenschaftlich belegt der falsche Weg. Ein Werbeverbot für einzelne Lebensmittel macht die Menschen nicht schlank", so Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer beim Lebensmittelverband Deutschland. "Entscheidend sind eine ausgewogene Ernährung, die Kalorienaufnahme und auch das Thema Bewegung, vor allem im Alltag, also der gesamte Lebensstil betrachtet über einen längeren Zeitraum."

Die Bekämpfung von Übergewicht, Adipositas und nicht übertragbaren Erkrankungen sei hingegen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

"Die Lebensmittelwirtschaft nimmt ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung sehr ernst und ist bereit, eine konstruktive Rolle zu spielen. Hierzu zählen zum Beispiel die ständige Weiterentwicklung der Produktpalette, eine Reihe Selbstverpflichtungen und ein starkes Engagement für einen aktiven Lebensstil."

Im Jahr 2009 habe die Lebensmittelwirtschaft mit den im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e. V. (ZAW) zusammengeschlossenen Organisationen gemeinsame Verhaltensregeln für die kommerzielle Kommunikation für Lebensmittel aufgestellt. Demnach ist in der Markt-Kommunikation der Lebensmittelwirtschaft alles zu unterlassen, was als Aufforderung zu einer übermäßigen und einseitigen Ernährung verstanden werden könnte. Darüber hinaus haben sich auf EU-Ebene eine Reihe von Unternehmen im Rahmen des sogenannten EU-Pledge weitergehende Werbebeschränkungen auferlegt. Die Hersteller haben sich im Rahmen dieser Initiative beispielsweise freiwillig verpflichtet, die Werbung an Kinder unter zwölf Jahren zu beschränken.



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vg 12.03.2021