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Psychologie

Wie ticken die Deutschen?

Quelle: Nobilior/Fotolia

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'Melancovid' trifft auf Kriegsangst – so überschreibt das Kölner Rheingold Institu die Ergebnisse einer tiefenpsychologischen sowie quantitativen Untersuchung, die seit Anfang der Corona-Pandemie die Verfassung der Menschen untersucht. Die meisten Bürger sind demnach während der Pandemie häuslicher geworden. Aber das Gefühl der Entschleunigung und Entspannung, dass die Menschen noch während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 hatten, ist zu einem Gefühl der Trägheit und Bequemlichkeit geworden. 30,5 Prozent der Befragten beobachten eine gewisse Antriebslosigkeit. 29 Prozent haben an einigen Dingen die Lust verloren, die ihnen früher Freude bereitet haben. Und 23,4 Prozent fürchten gar bequem geworden zu sein und das alte Aktivitätslevel nicht mehr zu erreichen.

Vorsicht und Zurückhaltung werden auch die Zeit nach Corona bestimmen

Auch nach dem Ende der Einschränkungen wollen nur 9,1 Prozent der Bürger versuchen, alles nachzuholen und besonders ausgelassen feiern oder shoppen. Und lediglich ein knappes Viertel (22,6 Prozent) der Menschen will wieder zu der Lebensfülle und Risikobereitschaft der Vor-Corona-Zeit zurückkehren. Mehr als zwei Drittel wollen hingegen einige Vorsichtsmaßnahmen beibehalten und 27 Prozent bekunden sogar, dass sie in Zukunft im Umgang mit Menschen zurückhaltender sein werden. Der Rückzug in den kleinen Lebenskreis des Privaten wird auch langfristig den Weltradius der Menschen verkleinern und zu einer neuen Selbstbezüglichkeit führen, so die Studienautoren.

Vermisst werden vor allem die frühere Unbeschwertheit und Selbstverständlichkeit mit dem man dem Leben und seinen Verlockungen oder Herausforderungen begegnete. Die Lust auf Inspiration ist verloren gegangen. Spontanität wird durch ständige Selbstkontrolle ersetzt oder ausgebremst. Bevor man etwas unternimmt, überlegt man dreimal, ob sich das lohnt und ob es das Risiko einer Infektion wert ist. Oft entscheidet man sich dann, doch lieber zuhause zu bleiben. Der Abwarte-Modus wird gefüllt durch die kleinen Biedermeier-Fluchten und Genussmomente, die man in den letzten beiden Jahren kultiviert hat: Radfahren, Wandern, Gartenarbeit, Dekorieren, Kochen, Backen, Spielen. 26,2 Prozent der Befragten bekunden, dass sie diese liebgewonnen Tätigkeiten auch weiter beibehalten wollen.

Ohnmachtsgefühle und Abwarte-Haltung

Anlässlich des Krieges in der Ukraine wurde die Studie aktuell um dieses Thema erweitert. Die extremen Ohnmachtsgefühle verstärken die demnach die Zermürbtheit, die die Menschen nach zwei Jahren Pandemie empfinden. Jenseits der Kriegsangst reagieren die Deutschen zunehmend resigniert, antriebslos und entnervt auf ihre Lebensumstände und haben trotz Lockerungstendenzen den Wunsch verloren, zu ihrem früheren Leben zurückzukehren. In einer Art Enttäuschungs-Prophylaxe dampfen viele ihre Sehnsüchte und Bedürfnisse ein, üben sich in Genügsamkeit und verharren in einer Abwarte-Haltung.

Mitunter klingen die Befragten so, als befänden sie sich in einem Zustand der Melancholie. Sie fühlen sich häufig verzagt und mutlos, kreisen um sich selbst. Vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hatten viele das Interesse an der Außenwelt verloren. Statt Optimismus hatte sich in Teilen der Bevölkerung eine Egal-Haltung entwickelt, die jetzt einer angstvollen Bestürzung gewichen ist, so die Studienautoren.

Zur Methode

Das Rheingold Institut hat in den vergangenen Monaten kontinuierlich die Corona-Befindlichkeit der Deutschen untersucht. Aktuell wurden Anfang Februar 2022 in einer tiefenpsychologischen Pilot-Studie 40 Menschen in Gruppendiskussionen und Tiefeninterviews sinnbildlich je zwei Stunden auf die Couch gelegt. Aufbauend auf den qualitativ-psychologischen Explorationen wurde Mitte Februar 2022 zu ausgewählten Fragestellungen eine quantitative Befragung mit 1.000 Menschen bevölkerungsrepräsentativ (Alter, Geschlecht, Bundesland) in Deutschland durchgeführt. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wurden zwölf Menschen qualitativ-tiefenpsychologisch zu ihrer Befindlichkeit befragt.

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vg 03.03.2022