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Andreas F. Schubert ist Präsident des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft e.V. - Quelle: Marina Weigl

Andreas F. Schubert ist Präsident des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft e.V. - Quelle: Marina Weigl

Ernährung

ZAW-Präsident: "Gesetzliche Werbeverbote haben noch kein Kind schlanker gemacht"

Derzeit stehen wieder Werbebeschränkungen für besonders fett-, zucker- und salzhaltige Lebensmittel im Raum. Bundesernährungsminister Cem Özdemir möchte Werbung, die sich an Kinder richtet, deutlich beschränken. Mit Andreas F. Schubert, Präsident des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft e.V. in Berlin, sprach markenartikel-magazin.de über die Sinnhaftigkeit von Verboten, den Aufbau von Ernährungs- und Werbekompetenz, Nachbesserungsbedarf bei allen Beteiligten und wichtige Hebel für eine erfolgreiche Übergewichtsprävention.

markenartikel: Der Bundesernährungsminister hat erklärt, dass er Werbung für ungesunde Nahrungsmittel, die sich an Kinder richtet, beschränken will. Was halten Sie von diesem erneuten Vorstoß, die Freiheit der Werbung einzuschränken?

Andreas F. Schubert: Die Erwägung, Werbung für angeblich "ungesunde" Lebensmittel zu verbieten, lehnen wir ab. In einer ausgewogenen Ernährung ist Platz für jedes Lebensmittel. Entscheidend ist die Menge, die Kinder, aber natürlich auch Erwachsene, zu sich nehmen. Lebensmittelwerbung ist zudem bereits umfassend geregelt. Zum einen durch die Bundesländer, die dabei über die Vorgaben der EU hinausgehen. Zum anderen durch die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats, die inhaltliche Vorgaben für die Lebensmittelwerbung an unter 14-Jährige beinhalten. Denn Werbung, die sich an diese Altersgruppe richtet, muss darauf Rücksicht nehmen, dass hier noch keine voll ausgebildete Ernährungs- und Werbekompetenz vorliegt. Hier übernimmt die Werbewirtschaft mit den Verhaltensregeln Verantwortung und setzt die Vorgaben durch. Sie wurden letztmalig 2021 verschärft.

markenartikel: Dennoch stehen jetzt wieder Forderungen im Raum, die bestehenden Regeln zu verschärfen…

Schubert: Konkrete Hinweise des Ministeriums, an welcher Stelle hier Nachbesserungsbedarf besteht, haben wir nicht erhalten. Und erst kürzlich hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf Anfrage mitgeteilt, dass dem Haus keine Wirkungsstudien zur Tauglichkeit von gesetzlichen Werbeverboten vorliegen. Deshalb sehen wir Gesprächsbedarf. Mehrere Anfragen von unserer Seite zum Austausch mit dem Minister sind seit seinem Amtsantritt jedoch negativ beschieden worden. Dabei ist der Bedarf für eine evidenzbasierte Politik, Reality-Checks und valide Folgeabschätzungen doch unabweisbar.

markenartikel: Keine Werbung zwischen 6 und 23 Uhr im TV – und auch keine Werbung mehr in sozialen Medien oder auf Plakaten in der Nähre von Kindergärten und Schulen – die Forderungen sind weitreichend. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass der Bundesernährungsminister sein Vorhaben durchsetzt?

Schubert: Wir sprechen uns gegen derart drastische Eingriffe aus. Sie gehen klar über den Koalitionsvertrag hinaus. Sie sind unverhältnismäßig und vor allem: Sie sind nicht geeignet, kindliches Übergewicht zu nachhaltig einzudämmen. Wir sehen also keinen belastbaren Grund und auch keine tragfähige Rechtfertigung für eine solche Politik. Den öffentlichen Äußerungen aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und auch den Eckpunkten zur Ernährungsstrategie, die im Dezember 2022 im Kabinett verabschiedet wurden, entnehmen wir, dass man aktuell an einer Umsetzung des Koalitionsvertrages arbeitet. Die Vorschläge und die Entscheidung hierüber sollten sich an den Fakten orientieren.

markenartikel: Die da wären?

Schubert: Dazu gehört unter anderem, dass es bei steigenden Werbeinvestitionen in den 2000er-Jahren zu einer deutlichen verringerten Energiezufuhr bei Kindern gekommen ist. Die Prävalenz beim kindlichen Übergewicht ist in diesem Zeitraum nicht gestiegen. Da besteht kein Zusammenhang, weil Werbung andere Wirkungen hat als die Verzehrmenge von Zucker, Fett und Salz zu beeinflussen. Wer Übergewicht bekämpfen will, muss anders ansetzen. Das hat auch die Corona-Pandemie nochmals sehr eindrücklich aufgezeigt: Hier ist die Werbemenge deutlich gesunken, das kindliche Übergewicht aber nach allem, was wir wissen, hat deutlich zugenommen.

markenartikel: Welche Vorschläge haben Sie für den Minister, um mehr Regulierung zu verhindern? Inwieweit können zum Beispiel die freiwilligen Maßnahmen der Industrie eventuell ausgeweitet werden?

Schubert: Wir sind gesprächsbereit, wann immer es um tragfähige und wirksame Maßnahmen geht. Einfach Regulierung einzudämmen, ist nicht unser Ansatz. Um die gesamtgesellschaftliche Herausforderung zu meistern, gilt es jedoch, die wirkmächtigen Hebel umzulegen. Die schließt nicht aus, die Werbeselbstregulierung miteinzubeziehen. Wesentliche Voraussetzung ist dabei jedoch, dass klar wird, wo Nachbesserungsbedarf gesehen wird, insbesondere bei den Aussagen und Inhalten in der Werbung, und die Verantwortungsanteile korrekt zu gewichten. Ich denke, es ist nachvollziehbar, wenn wir dem Aufstellen politischer Symbole in Form von Verboten und dem Mantra "Selbstregulierung wirkt nicht" widersprechen.

markenartikel: Verbote bewirken also nichts?

Schubert: Daten und Erfahrungen aus anderen Ländern belegen, dass gesetzliche Werbeverbote kein Kind tatsächlich schlanker gemacht haben. Und es wird auch nicht stimmig, wenn der Verbotsradius nach dem WHO-Schema bestimmt wird. Denn dann wäre die Lebensmittelwerbung vollkommen undifferenziert verboten. All das sind keine nachhaltigen, keine lebenswirklichen Lösungen. Sie würden aber erhebliche Nachteile nach sich ziehen: für Unternehmen und Verbraucher und nicht zuletzt die Medienlandschaft.

markenartikel: Es gibt immer wieder Initiativen, die fordern, Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt, die sich an die junge Zielgruppe richtet, zu verbieten. Der ZAW kritisiert diesen Verbotsansatz und weist darauf hin, dass Werbung und Fettleibigkeit nicht in Zusammenhang stehen. Wie kann stattdessen ein Ansatz aussehen, um das Problem anzugehen? Was kann ein ganzheitlicher Ansatz sein bzw. wie kann es gelingen, ohne verbindliche gesetzliche Maßnahmen weiterzukommen?

Schubert: Ein nachweislich wirkmächtiger Hebel erfolgreicher Übergewichtsprävention ist ausreichend Bewegung. Die sitzende Gesellschaft fängt mittlerweile im Kindesalter an. Das darf so nicht bleiben. Corona mit den einhergehenden Schulschließungen und dem Ausfall von Sportunterricht sowie Vereinssport haben eindrücklich bewiesen, wie groß dieser Hebel ist. Ebenfalls wichtig, und auch hier kann der Staat maßgeblich beitragen, ist ein ausgewogenes Kita- und Schulessen. Und es gibt noch ein weiteres Feld, an dem politisch wirkungsvoll viel bewegt werden kann: die Ernährungsbildung. Sie muss verstärkt werden. In der Kita, in Schulen, in Vereinen und vor Ort in den Kommunen und dabei immer insbesondere da, wo die soziale Lage angespannt ist. Dies gilt übrigens für alle Maßnahmen.

markenartikel: Wie meinen Sie das?

Schubert: Übergewicht ist sehr stark sozial determiniert. Deshalb gilt es, Eltern und deren Kinder zu erreichen, die einen niedrigeren sozioökonomischen Staus haben. Lebenswirkliche Maßnahmen, positive Unterstützung und Bildung werden sich auszahlen. Für eine Politik, die in Kampagnen danach beurteilt wird, was innerhalb einer Legislaturperiode verboten wird, ist das nicht einfach, da Erfolge zeitversetzt eintreten. Das kann aber kein Grund sein, am falschen Ende zu arbeiten und bei den nachweislich bedeutsamen Maßnahmen inaktiv zu sein oder im Ungefähren zu verharren.


 

 

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vg 01.02.2023