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Lieferketten

EU-Parlament für schärferes Lieferkettengesetz

Quelle: Nyul/Fotolia

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Das EU-Parlament hat seine Position für das Lieferkettengesetz präsentiert und will unter anderem den Anwendungsbereich ausweiten. Mit den neuen Vorschriften würden Unternehmen gesetzlich verpflichtet, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf die Menschenrechte und die Umwelt wie Kinderarbeit, Sklaverei, Umweltverschmutzung oder Verlust der biologischen Vielfalt zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, zu beenden oder abzumildern. Außerdem müssen sie die Auswirkungen ihrer Partner in der Wertschöpfungskette auf die Menschenrechte und die Umwelt bewerten, und zwar nicht nur bei den Zulieferern, sondern auch im Zusammenhang mit dem Verkauf, dem Vertrieb, dem Transport, der Lagerung und der Abfallbewirtschaftung und anderen Bereichen.

Das EU-Parlament will dabei bereits Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 40 Millionen Euro in die Pflicht nehmen. Die neuen Vorschriften gelten für in der EU ansässige Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 40 Millionen Euro sowie für Muttergesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen Euro. Nicht-EU-Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro, wenn mindestens 40 Millionen in der EU erwirtschaftet wurden, werden ebenfalls einbezogen.

Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung und Zusammenarbeit mit den Interessenträgern

Die Unternehmen müssen einen Übergangsplan zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad umsetzen. Im Falle großer Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten wird sich die Erfüllung der Ziele des Plans auf die variable Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung (z. B. Boni) auswirken. Die neuen Vorschriften verpflichten die Unternehmen außerdem, sich mit den von ihren Handlungen Betroffenen, einschließlich Menschenrechts- und Umweltaktivisten, auseinanderzusetzen, einen Beschwerdemechanismus einzuführen und die Wirksamkeit ihrer Sorgfaltspflicht regelmäßig zu überprüfen. Um den Anlegern den Zugang zu erleichtern, sollten Informationen über die Sorgfaltspflicht eines Unternehmens auch über das zentrale europäische Zugangsportal (European Single Access Point, ESAP) verfügbar sein.

Unternehmen, die die Vorschriften nicht einhalten, sind schadenersatzpflichtig und können von den nationalen Aufsichtsbehörden mit Sanktionen belegt werden. Zu den Sanktionen gehören Maßnahmen wie die namentliche Anprangerung, die Rücknahme der Waren eines Unternehmens vom Markt oder Geldstrafen von mindestens fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes. Nicht-EU-Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten, werden von der öffentlichen Auftragsvergabe in der EU ausgeschlossen.

Nach dem angenommenen Text sollen die neuen Verpflichtungen je nach Größe des Unternehmens nach drei oder vier Jahren gelten. Kleinere Unternehmen können die Anwendung der neuen Vorschriften um ein weiteres Jahr verschieben.

"Die Unterstützung des Europäischen Parlaments markiert einen bedeutenden Wendepunkt in unserem Verständnis der Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft. Ein Gesetz zur Unternehmensverantwortung muss sicherstellen, dass die Zukunft Unternehmen gehört, die Mensch und Umwelt auf nachhaltige Weise behandeln, und nicht solchen, die aus Ausbeutung und Umweltschäden ein Geschäftsmodell gemacht haben. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen erfüllt ihre Verpflichtungen gegenüber Mensch und Umwelt gewissenhaft. Mit diesem 'Fair Business Law' unterstützen wir diese Unternehmen und setzen gleichzeitig Grenzen für jene wenigen großen Unternehmen, die sich nicht an die Regeln halten und rücksichtslos agieren", sagte Berichterstatterin Lara Wolters (S&D, NL).

Das Europäische Parlament hat immer wieder eine stärkere Rechenschaftspflicht von Unternehmen und verbindliche Rechtsvorschriften über die Sorgfaltspflichten gefordert. Der Vorschlag der Europäischen Kommission wurde am 23. Februar 2022 vorgelegt.

Dr. Christoph Schröder, Rechtsanwalt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland: "Der deutsche Gesetzgeber wird das Lieferkettengesetz aufgrund der EU-Richtlinie anpassen müssen. Insbesondere wird es dann voraussichtlich eine zivilrechtliche Haftung geben, die derzeit noch ausdrücklich ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass das maximale Bußgeld für Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten erhöht wird. Zudem droht den Unternehmen ein Reputationsrisiko: Entscheidungen über Bußgelder sollen veröffentlicht werden, sprich naming and shaming."

Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie fordert Nachbesserungen im Trilog

Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Berlin, sieht indes Nachbesserungsbedarf. Die Umsetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes zeige, dass alle Unternehmen durch erhöhte Informations- und Dokumentationspflichten in ihren Geschäftsbeziehungen zu größeren Unternehmen von der Regulierung betroffen sein werden.

"Daher bleiben die nun auch vom EU-Parlament geforderten Informations- und Dokumentationspflichten eine maßlose Überforderung für die Unternehmen", so Stefanie Sabet, Geschäftsführerin der BVE und Leiterin des Büro Brüssel. "Aufwand und Nutzen müssen verhältnismäßig bleiben und auch die Staaten müssen mehr Verantwortung übernehmen und beispielsweise vertrauenswürdige Informationen bereitstellen. Der Trilog muss nun erheblich nachbessern. Neben längeren Übergangsfristen muss das neue Gesetz auch europaweit harmonisiert werden, um gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen."

Auch eine Doppelregulierung in Hinsicht auf Regelungen zu Berichterstattung und Risikomanagement dürfe es nicht geben. Bestehende Gesetzgebung, etwa die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten sowie der CSR-Berichterstattungspflichten oder auch die EU-Taxonomie müssten mitbetrachtet werden.

Bundesverband der Deutschen Industrie fürchtet negative Folgen

Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) meint, dass die Folgen für den Standort Europa kontraproduktiv sein werdne.

"Mit dieser Lieferkettenrichtlinie riskiert die EU eine massive Beeinträchtigung der notwendigen Transformation seiner Industrien", so BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. "Gefährdet sind Aufbau alternativer und resilienterer Wertschöpfungsketten und damit die Versorgungssicherheit von Wirtschaft und Gesellschaft. Statt den Zugang zu neuen Bezugsquellen zu erleichtern und in der Anzahl auszubauen, erschwert die Lieferkettenrichtlinie die wichtige Diversifizierung der Lieferketten auch in risikoreiche Länder deutlich. Das gemeinsame Ziel von Politik und Unternehmen, existierende Abhängigkeiten zu reduzieren, wird verfehlt. So wird Europa im geopolitischen Wettbewerb nicht mithalten."

Es sei falsch, die Aufgabe des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt in dieser Form allein auf die Unternehmen abzuwälzen. Sinnvoller sei es, über entwicklungspolitische Maßnahmen Lieferanten aus Partnerländern zu befähigen.

"Die geplanten Vorgaben überfordern europäische Unternehmen, schaffen große Rechtsunsicherheit und überbordende Bürokratie", sagt Gönner. "Der Anwendungsbereich der Lieferkettenrichtlinie über die gesamte Wertschöpfungskette ist realitätsfern. Verpflichtungen müssen sich auf die direkten Zulieferer beschränken, sonst sind sie in der Unternehmenspraxis nicht umsetzbar."

Das Verhalten unabhängiger Dritter dürfe nicht zu zivilrechtlicher Haftung von Unternehmen führen. Unternehmen könnetn nur für eigene Aktivitäten in der Lieferkette haften, nicht für diejenigen ihrer Geschäftspartner oder deren Lieferanten. Die Verknüpfung politischer Ziele mit Haftungs- oder Vergütungsregeln für die Geschäftsführung sei nicht akzeptabel.

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vg 02.06.2023