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Dr. Bernd Nauen (l.), Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. in Berlin, und Christoph Minhoff (r.), Hauptgeschäftsführer Lebensmittelverband Deutschland in Berlin - Quelle: Marina Weigl/ZAW; S. Engelhardt/Lebensmittelverband

Dr. Bernd Nauen (l.), Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. in Berlin, und Christoph Minhoff (r.), Hauptgeschäftsführer Lebensmittelverband Deutschland in Berlin - Quelle: Marina Weigl/ZAW; S. Engelhardt/Lebensmittelverband

Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz

"Politik erzählt falsches Narrativ"

Das geplante Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz erhitzt die Gemüter. Warum sie die Vorschläge kritisieren, welche Gefahren für Innovationskraft und Medienvielfalt drohen und was statt Verboten wichtig wäre, sagen Dr. Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V. in Berlin, und Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer Lebensmittelverband Deutschland in Berlin, im Interview mit markenartikel:

markenartikel: Der Bundesernährungsminister hat erklärt, dass er Werbung für ungesunde Nahrungsmittel, die sich an Kinder richtet, beschränken will. Die Initiative stößt auf heftige Kritik. Warum?
Christoph Minhoff: Das ist so nicht ganz richtig. Cem Özdemir erzählt seit Februar 2023, dass es um den Schutz der Kinder geht. Vielleicht hätte er das auch seinem Team, das die Entwürfe zum Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz geschrieben hat, erzählen sollen. Da geht es nämlich um ein Werbeverbot für bis zu 80 Prozent aller Lebensmittel, unter anderem in der Primetime im Fernsehen. Das ist weit von der Formulierung aus dem Koalitionsvertrag, die wir übrigens mittragen würden, entfernt. In diesem ist von Sendungen, die sich an unter 14-Jährige richten, die Rede.
Bernd Nauen: Der vereinbarte Kompromiss des Koalitionsvertrags, zu dem sich zwei Koalitionspartner bekennen, wird klar verfehlt. Die Kommunikation des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft versucht der Öffentlichkeit zwar das Gegenteil weiszumachen, es ist aber gerade nicht so, dass hier die Wirtschaft oder wer auch immer blockiert. Nicht ohne Grund sehen immer mehr Beobachter, dass nun das BMEL in der Pflicht ist, lebenswirkliche und evidenzbasierte Vorschläge zu unterbreiten und das Gespräch zu suchen. Die Lebensmittel- und Werbebranche erkennt an, dass es eine Initiative zur Bekämpfung der Ursachen von Übergewicht bei Kindern braucht. Gegen eine in dieser Hinsicht evidenzbasierte, nachhaltige Politik wendet niemand etwas ein. Die Werbe- und Lebensmittelwirtschaft ist aber nicht einverstanden mit dem, was auf Betreiben eines Koalitionspartners tatsächlich unternommen wird.

markenartikel: Was sind Ihre Kritikpunkte?
Nauen: Nachweislich wirksame Hebel zur Verringerung der Übergewichtsrate von Kindern werden nicht in Gang gesetzt. Stattdessen werden Vorschläge gemacht, für die keinerlei Wirksamkeitsbelege in punkto Verringerung der Übergewichtsrate bei Kindern exitieren, die aber gut belegt eine verheerende Wirkung für Unternehmen und Medien haben würden – und auch nachteilig für Verbraucher wären. Weshalb die Pläne auch rechtlich nicht tragfähig sind: nicht bei der erforderlichen Kompetenzgrundlage und auch nicht im Hinblick auf die gebotene Verhältnismäßigkeit von tiefschürfenden Grundrechtseingriffen und Beschränkungen von EU-Grundfreiheiten und hinsichtlich europarechtlicher Anforderungen. Auf dem Tisch liegt keine Regulierung, die an Kinder gerichtete Werbung erfasst.

markenartikel: Sondern?
Nauen: Der Entwurf des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes verbietet audiovisuellen Medien wie TV in weiten Teilen des Programms pauschal die Verbreitung von Werbung. Die Zeitgrenzen erfassen ganze Sendergruppen und Formate und gerade nicht an Kinder gerichtete Umfelder. Hinzu kommen engmaschige räumliche Werbeverbotszonen, die die Nutzung von Außenwerbung innerstädtisch faktisch unmöglich machen würden. Die Werbeverbote gelten ebenfalls für gedruckte und digitale Presse sowie für Hörfunk und audiovisuelle Mediendienste, wenn sie nur auch Kinder ansprechende Inhalte verbreiten. Hinzu kommen Kommunikationsverbote für weitere Medien bzw. Werbeträger wie Aufsteller und Schaufenster sowie Beschränkungen beim Sponsoring, die Bilder, Äußerungen, Sujets, Örtlichkeiten, Situationen, Darsteller, Symbole oder Grafik betreffen, wenn die Darstellung des Produkts Kinder ansprechen könnte.

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markenartikel: Welche Herausforderungen würden damit auf Marken, Medien und Co. zukommen?
Minhoff: Wenn Werbeeinnahmen um die drei Milliarden fehlen, wie Professor Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition Economics an der Heinrich-Heine-Universität in seinem Gutachten schätzt, dann wird das Auswirkungen auf die Medienvielfalt haben – die gibt es dann in unserer aktuellen Form nicht mehr. Journalisten gehören schon jetzt nicht unbedingt zu den oberen Gehaltsklassen. Und wenn kein Geld mehr da ist, dann wird eben die Künstliche Intelligenz demnächst die Artikel schreiben und Nachrichten vortragen. Das ist dann der Anfang vom Ende des unabhängigen Qualitätsjournalismus.
Nauen: Die rund drei Milliarden Euro Werbeeinnahmen, die durch den Entwurf, würde er Gesetz, wegreguliert wären, können nicht kompensiert werden. Das macht die Refinanzierung von Qualitätsjournalismus, Unterhaltung, Kultur und Sport schwierig. Vor allem für die privatwirtschaftlich finanzierten, audiovisuellen Medien, die bis zu 16 Prozent ihres Gesamtbudgets über Lebensmittelwerbung generieren, hätte der Entwurf gravierende Auswirkungen. Aber auch andere Werbeträger wie Out-of-Home bzw. Plakat, Radio oder Print wären unverhältnismäßig hart betroffen.


markenartikel: Die OWM Organisation Werbungtreibenden im Markenverband und der Markenverband sehen neben der Medienvielfalt auch die Innovationskraft der Unternehmen in Gefahr. Zurecht?
Minhoff: Die Sorge ist berechtigt! Überbürokratisierung bedeutet übermäßige staatliche Vorgaben, die wahre Innovationshemmnisse sind. Das sehen wir zum Beispiel auch in anderen Bereichen wie der Novel-Food-Verordnung, wenn Unternehmen teilweise bis zu fünf Jahre auf die Zulassung warten müssen. Und mit Blick auf das Werbeverbot: Sie müssen sich vorstellen, Sie entwickeln mit viel Forschungs- und Entwicklungsaufwand und Herzblut ein Produkt, von dem Sie und die Testkunden überzeugt sind. Aber Sie können es nicht bewerben und wissen darüber hinaus auch nicht, ob die Rezeptur so bleiben kann oder die Regierung nicht nächsten Monat verbindliche Reduktionsziele für den nächsten Inhaltsstoff einführt. Das machen die Hersteller nicht mit, das unternehmerische Risiko ist viel zu groß.
Nauen: Ganz klar: Werbeverbote verhindern Innovationen! Unternehmen investieren nur in Forschung und Entwicklung, wenn sie die Aussicht haben, ihre Produkte gewinnbringend am Markt zu platzieren. Sie müssen ein neues oder verbessertes Produkt bewerben und vermarkten können. Ist dies nicht der Fall, verzichten sie auf Innovationen. Auf den KLWG-Entwurf bezogen ist klar, dass viele Lebensmittelprodukte selbst durch Reformulierung nicht in einen Bereich gelangen könnten, der Werbung nach diesen Vorgaben ermöglichen würde.

Welche Auswirkungen die geplante Gesetzgebung noch haben könnte, wie sie zu dem Argument stehen, dass der Anteil dicker Kinder zugenommen hat, welche Möglichkeiten sie für zielführender und nachhaltiger halten, um das Problem der Übergewichtigkeit zu bekämpfen, inwieweit auch die freiwilligen Maßnahmen der Industrie ausgeweitet werdenkönnen und ob weitere Reglementierungen drohen, lesen Sie im vollständigen Interview in markenartikel 11/2023. Zur Bestellung geht es hier. 
 

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vg 09.11.2023