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Nora Stratmann und Thomas Lipsky, Rechtsanwälte bei Arqis - Quelle: Arqis

Nora Stratmann und Thomas Lipsky, Rechtsanwälte bei Arqis - Quelle: Arqis

Millionenstrafe gegen Rolex

Der Online-Vertrieb und die Tücken des Vertriebskartellrechts

Wer an verbotene wettbewerbswidrige Absprachen denkt, dem kommen vermutlich nicht zuerst Luxusuhren in exklusiven Ladengeschäften in den Sinn. Und doch hat den Uhrenhersteller Rolex ein saftiges Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Kartellverbot ereilt. Auf rund 92 Millionen Euro setzte die französische Kartellbehörde das Bußgeld fest, weil die Schweizer ihren Vertragshändlern den Online-Vertrieb verboten hatten. Thomas Lipsky und Nora Stratmann, Rechtsanwälte bei Arqis in München, nehmen den Fall zum Anlass, in einem Gastbeitrag für markenartikel-magazin.de die Fallstricke des Vertriebskartellrechts in den Blick zu nehmen:

Dass Absprachen zwischen Wettbewerbern verboten sind, ist allgemein bekannt. Vor allem bei Preisabsprachen kennen die Wettbewerbshüter kein Pardon, wie Milliarden-Strafen beispielsweise gegen die Beteiligten des LKW-Kartells oder bei der Manipulation des Referenzzinssatzes im Libor-Skandal gezeigt haben.

Anders als solche horizontalen Vereinbarungen beurteilt das Wettbewerbsrecht hingegen vertikale Vereinbarungen, also solche zwischen Parteien auf unterschiedlichen Stufen des Vertriebsweges. Vertikale Vereinbarungen sind nämlich nach der herrschenden Meinung unter Ökonomen dazu in der Lage, Preis- und Qualitätsvorteile für den Verbraucher zu realisieren und den Wettbewerb zwischen unterschiedlichen Herstellern zu fördern. Artikel 2 Absatz 1 der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) nimmt deshalb vertikale Vereinbarungen grundsätzlich vom Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen aus (sog. Schirmfreistellung).

Grundvoraussetzung der Freistellung ist, dass der Anteil beider Vertragsparteien – der des Lieferanten und der des Vertragshändlers – im sachlich und räumlich relevanten Markt 30 Prozent jeweils nicht übersteigt. Der sachlich relevante Markt grenzt sich danach ab, dass in ihm die Produkte vom Verbraucher nach ihrer Eigenschaft, ihrer Preislage und ihrem Verwendungszweck als gleichartig und austauschbar angesehen werden (Bedarfsmarktkonzept). In räumlicher Hinsicht müssen innerhalb des Marktes homogene Wettbewerbsbedingungen herrschen. Den sachlich und räumlich relevanten Markt abzugrenzen, stellt in der praktischen Arbeit eines der Hauptprobleme dar.

Die Vertikal-GVO sieht von der Schirmfreistellung nun wiederum Gegenausnahmen vor, die sich aus Kernbeschränkungen (Artikel 4) und sonstige Beschränkungen (Artikel 5) zusammensetzen.

Verbot des Passivverkaufs im Alleinvertrieb

Besondere praktische Relevanz hat das Verbot des Passivverkaufs im Alleinvertrieb als Kernbeschränkung (Artikel 4 lit. b Vertikal-GVO). Folge ist, dass die Freistellung für den Vertrag als Ganze entfällt – und damit regelmäßig ein Verstoß gegen das Kartellrecht vorliegt.

Nicht zulässig ist es nach dieser Vorschrift, einem Vertragshändler zu verbieten, auf unaufgeforderte Anfragen einzelner Kunden (sog. Komm-Kunden) zu verkaufen. Verboten werden darf dem Alleinvertriebshändler dagegen der Aktivverkauf, nämlich das gezielte Ansprechen von Kunden durch Besuche, E-Mails, Anrufe oder dergleichen. Auch eine Website unter gebietsfremder Top-Level-Domain und in gebietsfremder Sprache kann einen Aktivverkauf in dieses Gebiet darstellen und darf dann vom Verbot umfasst sein.

Entfällt der Vorzug der Freistellung, droht schlimmstenfalls eine Geldbuße in Höhe von bis zu zehn Prozent des jährlichen Konzernumsatzes.

Selektive Vertriebskriterien

In selektiven Vertriebssystemen bestimmt der Lieferant Kriterien, die die Händler seiner Produkte erfüllen müssen. Solche selektiven Vertriebssysteme sind besonders bei den Herstellern von Luxusgütern beliebt, da die Art der Präsentation der Ware und die Beratung vor Ort bei diesen Produkten einen wesentlichen Anteil an der Wertschöpfung hat. Sprich: Prestige-Produkte gewinnen ihr Prestige durch eine besonders exklusive Präsentation und Beratung.

Diesen Umstand hat auch die Rechtsprechung gewürdigt. Bestimmt der Händler im Vertrag abstrakte Kriterien, die seine Händler erfüllen müssen, so liegt schon keine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung vor, sofern die drei 'Metro-Kriterien' erfüllt sind: Die Beschaffenheit der Produkte muss die Selektion notwendig machen (legitimer Zweck), die Wiederverkäufer müssen aufgrund objektiver Qualitätsmaßstäbe ausgewählt werden, die unterschiedslos angewendet werden (Geeignetheit und Erforderlichkeit) und die aufgestellten Kriterien dürfen nicht über dasjenige hinausgehen, was erforderlich ist (Angemessenheit).

Jedenfalls der legitime Zweck ist bei 'hochwertigen' oder 'hochtechnologischen' Produkten regelmäßig gegeben. Ist eines der sonstigen Kriterien nicht erfüllt, ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass der Verkauf (auch der Aktivverkauf) an bestimmte Endverbraucher nicht untersagt wird.

Unzulässige Wettbewerbsverbote

Wettbewerbsverbote sind in nach Artikel 5 der Vertikal-GVO nur freigestellt, wenn sie eine Dauer von fünf Jahren unterschreiten. Häufig ist ein Wettbewerbsverbot nicht ausdrücklich auf fünf Jahre begrenzt und kann sich bei automatischer Verlängerung der Vertragslaufzeit mitverlängern (sog. Evergreen-Klausel). Solche Evergreen-Klauseln sind dann freigestellt, wenn der Abnehmer die Vereinbarung vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist mit einer angemessenen Kündigungsfrist und zu angemessenen Kosten wirksam neu aushandeln oder kündigen kann. Im Rahmen dessen ist auch sicherzustellen, dass der Abnehmer nicht-vertragsspezifische Ausrüstungen, die ihm der Anbieter zur Verfügung gestellt hat, zum Marktwert übernehmen kann.

Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Artikel 5 der Vertikal-GVO sind zwar weniger gravierend, weil bei Vorliegen einer salvatorischen Klausel die Wirksamkeit des Vertrages im Übrigen regelmäßig unberührt bleibt. Entfällt aber die Exklusivbindung des Vertriebspartners, kann dies das Vertragsverhältnis dennoch empfindlich stören.

Der Fall Rolex

Rolex wäre nach den Vorgaben der Vertikal-GVO und der Vertikal-Leitlinien einiges erlaubt gewesen: Das Unternehmen hätte den Vertriebspartnern Vorgaben im Hinblick auf ein bestimmtes Erscheinungsbild des Online-Shops machen dürfen. Auch ein Verbot der Nutzung von Online-Marktplätzen wie Amazon oder Ebay Kleinanzeigen wird kartellrechtlich nicht beanstandet. Rolex hätte schlicht auch nur solche Händler beliefern können, die de facto vom Online-Vertrieb absehen. Denn unter das Kartellverbot fallen nur Vereinbarungen über den selektiven Vertikalvertrieb, nicht aber selektives Handeln im tatsächlichen Vertrieb. Das Verbot des Online-Vertriebs verbietet die Vertikal-GVO aber klipp und klar.

Der wachende Blick der Kartellbehörden reicht damit weiter als die bisherigen prominenten Fälle vermuten lassen. Markenhersteller sollten daher ebenso wachsam sein, wenn sie Vertriebsvereinbarungen treffen. Denn eine Geldbuße von bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes dürften die wenigsten aus dem uhrenumschlungenen Ärmel schütteln.

 

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vg 15.04.2024