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Dr. Jan Rutenberg ist Leiter Marktforschung bei Tegut in Fulda - Quelle: Tegut… gute Lebensmittel GmbH & Co. KG

Dr. Jan Rutenberg ist Leiter Marktforschung bei Tegut in Fulda - Quelle: Tegut… gute Lebensmittel GmbH & Co. KG

Marktforschung

Jan Rutenberg, Tegut: "Konsum wird hinterfragt und Neues ausprobiert"

Inwieweit hat die Corona-Krise das Verhalten der Konsumenten verändert? Welche Entwicklungen sind von Dauer? Und was bedeutet das für die Markenwahrnehmung? Marktforschung hilft, Antworten auf diese Fragen zu finden. Mit Dr. Jan Rutenberg , Leiter Marktforschung bei Tegut, sprachen wir darüber, welche Veränderungen er im Verhalten der Konsumenten festgestellt hat und was das für die Markenführung bedeutet:

markenartikel: Die Corona-Krise hat einiges durcheinandergewirbelt. Auch das Konsumverhalten hat sich verändert. Welche Erkenntnisse haben Sie bei Ihren Forschungsprojekten dabei am meisten überrascht?

Dr. Jan Rutenberg: Dass sich die über Jahre stabilen (Kauf-)Verhaltensweisen so schnell so massiv verändert haben, hat mich wahrscheinlich am meisten überrascht. Der Kauf von Lebensmitteln war immer überwiegend gewohnheitsmäßig und hat sich nur langsam verändert. Mit Beginn der Corona-Pandemie war das schlagartig hinfällig. Viele Einkaufsentscheidungen wurden plötzlich bewusst getroffen und verändert, vor allem im Hinblick auf Anlass, Häufigkeit, Volumen oder auch Einkaufskanal und -stätte. Für mich die zweite Überraschung: Trotz der großen Verunsicherung, auch im Hinblick auf die eigene wirtschaftliche Situation, waren die Konsumenten überwiegend bereit, höherwertig zu kaufen. Zum einen hat der Stillstand des öffentlichen Lebens bei den meisten Konsumenten das verfügbare Budget erhöht, zum anderen haben sich die Konsumenten häufig auch bewusst Besseres gegönnt, weil beispielweise Restaurantbesuche entfallen sind.

markenartikel: Es hat sich also einiges getan...

Rutenberg: Ja. Spannend war auch, wie unterschiedlich sich die Vertriebskanäle und Sortimentsbereiche in der Pandemie entwickelt haben - mit großen Gewinnen bei Vollsortimentern, Online-Geschäftsmodellen und Produktkategorien aus den Bereichen Hygiene und Vorrat, aber auch bei Grundnahrungsmitteln und Frische-Produkte zum Kochen und Backen. Zugleich hat Corona dabei auch zuvor starke durch Zeitdruck geprägte Trends wie Out-of-Home, To-Go-Produkte und Convenience-Standort-Konzepte ausgebremst oder wichtige Themen wie Klimawandel oder Plastikreduktion vorrübergehend in den Hintergrund verdrängt.

markenartikel: Haben sich durch die Pandemie-Erfahrungen auch die Markenwahrnehmung und die Erwartung an Marken verändert? Wenn ja, inwiefern?

Rutenberg: Die Pandemie hat die Relevanz von Branchen, Unternehmen, Produkten und damit auch der Marken quasi über Nacht verändert. Während einige Marken nahezu bedeutungslos wurden, weil sie nicht mehr genutzt oder erlebt werden konnten, standen andere Branchen plötzlich als systemrelevant im Fokus. Und Marken wie Konsumenten mussten sich in dieser Phase der großen Unsicherheit darauf einstellen. Lebensmittelhändler verstehen und inszenieren sich im letzten Jahrzehnt immer besser als Marke. Sie haben die Corona-Krise genutzt, sich positiv zu präsentieren:

markenartikel: Inwiefern?

Rutenberg: Als systemrelevanter Retter in der Not, der die Versorgung der Bevölkerung aufrechterhält. Als verlässlicher Anker, der für Normalität sorgt. Als fürsorglicher Partner, der die Gesundheit und Sicherheit seiner Mitarbeiter & Kunden gewährleistet. Als einzig verbliebende soziale Begegnungsstätte oder auch als Innovator mit neuen stationären und digitalen Handelskonzepten. Unabhängig von der Pandemie kommt hinzu, dass Konsumenten von Marken zunehmend Haltungen zu gesellschaftlichen Themen, zum Beispiel Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung oder Transparenz erwarten, die Marken authentisch erfüllen sollen.

markenartikel: Welche Entwicklungen oder Themen sehen Sie dabei, die mit Blick auf das Verbraucherverhalten von Dauer sein werden? Worauf müssen Marken sich einstellen?

Rutenberg: Die Corona-Krise wirkt generell als Entwicklungsbeschleuniger. Konsumenten haben die Fragilität der Welt gespürt und sehnen sich nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Einfachheit. Trotzdem wollen sie die großen gesellschaftlichen Herausforderungen nicht ignorieren und ihre Bereitschaft, sich selbst zu verändern, wächst. Statt wieder in vorherige Gewohnheiten zu verfallen, werden Lebensweisen oder Konsumverhalten hinterfragt und Neues ausprobiert, wie sich beispielsweise beim Wachstum von pflanzlicher Ernährung oder dem Erfolg der Bio-Lebensmitteln zeigt. Der digitale Wandel wird aber vermutlich der stärkste Veränderungstreiber für den Handel sein.

markenartikel: Was tut sich hier?

Rutenberg: Zunehmend breitere Gesellschaftsschichten sind aufgeschlossen, sich auf neuen, bequemen Wegen mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine große Chance für die vielen neue Konzepte und Geschäftsmodelle, die sich derzeit unter den Stichworten Quick Commerce, Online-Lebensmittel, Abomodelle oder Tiny-Stores entwickeln. Zumindest wenn es ihnen dabei gelingt, die hohen Kundenerwartungen an Qualität, Einfachheit, Bezahlbarkeit aber auch Nachhaltigkeit zu erfüllen. Der stationäre Lebensmitteleinzelhandel wird sich auch dauerhaft auf die Reduzierung der Einkaufsfrequenz bei größeren Warenkörben einstellen müssen. Auch ein höherer Homeoffice-Anteil und Rückgang beruflicher Reisen wird sich etablieren und vom Lebensmittelhandel Anpassungen an Sortimenten, Standorten und Vertriebskonzepten erfordern.

markenartikel: Welche Themen erfahren denn noch einen Boom? Und was bedeutet das für Ihre Marke bzw. Produkte?

Rutenberg: Auch durch die Pandemie stehen die gesellschaftlichen Trends 'Gesundheit & Wohlbefinden', 'Nachhaltigkeit', 'Qualität', 'lokale Wirtschaftskreisläufe' und 'Transparenz' stark im Fokus. Durch das größere Bewusstsein, aber auch das Angebot an solchen Produkten, wird die Nachfrage weiter wachsen. Hier sind wir aufgrund unserer Überzeugungen und Kompetenzen bestens aufgestellt.    Vor dem Hintergrund des digitalen Wandels steht auch der Lebensmittelhandel mittelfristig vor einer Transformation der Branche mit großen Herausforderungen. Auch wenn der Handel, bisher eher schnell auf Veränderungen reagieren konnte, zum Beispiel mit neuen Sortimentsschwerpunkten, sind zukünftig andere, insbesondere digitale Kompetenzen erforderlich, die sich nicht so schnell entwickeln lassen.

markenartikel: Wie haben Sie in Ihrem Haus noch auf die Veränderungen reagiert?

Rutenberg: Den gesellschaftlichen Trends zu 'Gesundheit' und 'Nachhaltigkeit' werden wir schon seit langem in unserem Sortiment gerecht und erreichen - auch über unsere fokussierte Kommunikation - damit zunehmend mehr Menschen. Auch in den anderen Unternehmensbereichen wie dem Ladenbau, bei der Standortwahl oder dem Personal-Recruiting gewinnen diese Themen zunehmend eine größere Bedeutung. Zudem ist Innovation jetzt wesentlich stärker in unseren strategischen Fokus gerückt, wobei wir bereits vor der Pandemie mit innovativen Projekten den technologischen Grundstein für die Zukunft gelegt haben - zum Beispiel mit unserem Kleinstflächenkonzept 'Tegut… Teo'. Aber hier gilt es viel zu lernen und in sinnvolle Lösungen für Kunden umzusetzen. Wir als Marktforschung beschäftigen uns jetzt wesentlich systematischer mit Trends und versuchen so im Unternehmen entsprechende Impulse zu geben, um rechtzeitig relevante Entwicklungen aufgreifen zu können.

Was Verantwortliche bei Einhell, DMK, Grohe L’Oréal, MVV und Olymp erwarten und wie sie sich auf die Veränderungen einstellen, lesen Sie im kompletten Beitrag in markenartikel 1-2/2022. Zur Bestellung geht es hier.

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vg 25.02.2022