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Till Oyen, Mitgründer und Creative Director bei Radikant - Quelle: Radikant

Till Oyen, Mitgründer und Creative Director bei Radikant - Quelle: Radikant

Branding

Elf wichtige Erkenntnisse aus elf Jahren Corporate Design

Till Oyen, Mitgründer und Creative Director der Branding-Agentur Radikant, berichtet in seinem Gastbeitrag für markenartikel-magazin.de, welche elf Dinge er in elf Jahren Corporate Design gelernt hat:

Bevor wir vor elf Jahren unsere Agentur gegründet haben, waren wir jahrelang frustriert über die Qualität des Corporate Designs in Deutschland. Verglichen mit dem internationalen Niveau, erschöpfte sich der gestalterische Spielraum oft in zwei Fragen: Kombinieren wir Blau mit Orange oder mit Grau? Kommt der Balken auf der Broschüre jetzt nach unten oder nach rechts? In der Zwischenzeit ist viel passiert – sowohl bei uns als auch in unserer Disziplin. Daher versuchen wir an dieser Stelle, die elf wichtigsten Erkenntnisse aus elf Jahren Corporate Design zusammenzufassen.

  1. Früher waren Unternehmensauftritte in Deutschland zu unmodisch – heute trifft manchmal das Gegenteil zu: Über die vergangenen zehn Jahre ist das Design in Deutschland dramatisch besser und vielfältiger geworden – sicher nicht zuletzt durch die voranschreitende Digitalisierung und den damit einhergehend stärkeren internationalen Austausch. Es ist heute eben einfacher, zum Beispiel ins Silicon Valley zu blicken und zu schauen, wie man es dort macht. Das führt heute allerdings mitunter dazu, dass alle dieselben Schriften, Illustrationen und Farbkombinationen nutzen, die sie bei einem der Tech-Unicorns gesehen haben. Von für den Unternehmenserfolg unerlässlichen Qualitäten wie Eigenständigkeit und Wiedererkennbarkeit bleibt da nicht viel übrig.
  2. Corporate Design ist eine echte Herzenssache: Was wir immer wieder beobachten konnten: Wenn es daran geht, ein neues Erscheinungsbild zu finden, delegieren Geschäftsführung oder Unternehmensgründer:innen das Thema zunächst – es geht ja 'nur' um den visuellen Auftritt. Wenn es dann beim Redesign aber zur Sache geht und visuelle Grundkonstanten verändert werden, stellen sie schnell fest, dass es ihnen in Wahrheit sehr wichtig ist, wie ihr Unternehmen aussieht. Das künftige Erscheinungsbild des eigenen Unternehmens ist eine emotionale Angelegenheit. Ein klarer Beweis dafür, welche enorme Wirkung Branding hat!
  3. Jede Disziplin hat ihre Scheuklappen – auch das Corporate Design: Die Ausgestaltung einer Marke sollte als etwas sehr Grundsätzliches und Langfristiges betrachtet werden. Mit diesem Anspruch tritt unsere Disziplin bei jedem Rebranding-Prozess an und vergisst gelegentlich, dass darüber hinaus auch die alltägliche, kurzfristige und vermeintlich triviale Kommunikation mit dem neuen Brand Design umsetzbar sein muss. Das heißt: Auch die langfristig angelegten Markenleitplanken müssen spontane und perfomance-orientierte Marketingkommunikation berücksichtigen und ermöglichen.
  4. Jedes Rebranding-Projekt folgt einem gewissen Muster – ist aber so individuell wie der Auftraggeber: Wenn man einen Rebranding-Prozess startet, sind in der Anfangs- und Beratungsphase ein strategisch klares Vorgehen und der Einsatz geeigneter Methoden Pflicht. Es braucht eine solide Struktur, um die Dinge zu ordnen und dementsprechend wiederholen sich viele Prozesse. Das heißt aber nicht, dass ein Corporate Design von der Stange funktionieren kann! Der individuelle Kontext ist eben immer wieder so unterschiedlich, dass völlig andere Aspekte und Einflussfaktoren beachtet werden müssen.
  5. Es macht einen großen Unterschied, ob es im Projekt um Style, Story oder System geht: Für uns hat jedes Brand Design immer die drei Komponenten Style, Story und System. Alle drei Teilbereiche sind wichtig und notwendig, aber der Schwerpunkt ist von Projekt zu Projekt unterschiedlich. Wir haben gelernt, dass es einen entscheidenden Unterschied macht, ob der Fokus des Rebrandings auf einer Veränderung der Markenstory und Positionierung, auf reiner visueller Modernisierung oder auf der Nutzbarkeit des Corporate Designs liegt. Ein Beispiel für ein Projekt mit dem Schwerpunkt auf Style: Der klassische Modernisierungsfall. Ein Unternehmen sieht von außen etwas verstaubt und ein wenig langweilig aus, ist aber eigentlich ein Innovationstreiber. Also muss beim neuen Brand Design vor allem der Style angepasst werden. Ein Beispiel für Story: Ein Unternehmen macht mittlerweile etwas ganz anderes als das, wofür es früher einmal wahrgenommen wurde. In diesem Fall muss das CD vielleicht nicht nur frischer und moderner werden, sondern auch dabei mithelfen, die neue Geschichte zu erzählen! Ein Beispiel für System: Bei den Gestaltungselementen muss einfach aufgeräumt werden, denn es herrscht vor allem ein großes Durcheinander und die Anwendung des CD an den vielen unterschiedlichen Touchpoints ist in der Praxis schwierig. Hier bietet sich z.B. häufig der Einsatz eines Digitalen Design Systems an.
  6. Die Tragweite eines Corporate Design-Relaunches wird fast immer unterschätzt: Wenn an CD und Marke gearbeitet werden soll, beginnt dieser Prozess meistens im Marketing. An dieser Stelle gelingt es aber häufig noch nicht, die gesamten Abhängigkeiten und notwendigen Folgeaktionen des Relaunchs zu überblicken. Denn tatsächlich muss das neue Brand Design ja für die gesamte Organisation übersetzt werden – z.B. im HR-Bereich für das Employer Branding. Daher sollte man einplanen, alle Stakeholder möglichst früh in den Gesamtprozess einzubinden!
  7. Die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit am Corporate Design bietet Chancen – und auch Risiken: Wenn das Corporate Design angefasst wird, dann birgt dieser Prozess immer die Chance, auch andere Themen anzupacken. Ein einfaches Beispiel: Wenn ohnehin der Briefbogen verändert wird, kommt häufig auch die Idee auf, sämtliche Vorlagen für Briefe und Formulare zu standardisieren. Das kann ein grundsätzlich sehr positiver Effekt sein. Es kann aber auch das gesamte CD-Projekt deutlich in die Länge ziehen.
  8. Die abstrakten Vorstellungen in den Köpfen müssen möglichst früh auf dem Papier oder dem Bildschirm konkretisiert werden: Wenn der Anspruch lautet, dass eine Marke alle Sinne ansprechen soll, dann wird man irgendwann merken, dass bloßes Diskutieren nicht zu einer sinnvollen Weiterentwicklung führen wird. Daher ganz wichtig: Ideen möglichst früh für alle Beteiligten visualisieren und anschaulich machen – und z.B. Workshops entsprechend konzipieren.
  9. Trends kommen und gehen – und kriegen manchmal nur einen neuen Namen: Auch bei der Markenbildung und im Brand Design gibt es Moden. Meistens hat jeder neue Trend einen wahren Kern – und das ist gleichzeitig der Grund, warum das Thema doch gar nicht so neu ist, wie es zunächst erscheint. Ein Beispiel: Zuletzt haben sich sehr viele Marken mit ihrem Purpose beschäftigt. Das ist sinnvoll und hat vielen zu wichtigen Erkenntnissen verholfen. Andererseits mag das aber daran liegen, dass man sich bei diesem Prozess im Kern fast das identische Konstrukt anschaut wie bei der Frage nach Mission, Vision und Werten.
  10. Das Brand Design als Disziplin pendelt zwischen Standardisierung und Flexibilisierung: Hier geht es um die Frage, wie viel Inkonsistenz in der Anwendung des Brand Designs man bewusst zulässt. Begleitet man ein Unternehmen und sein Corporate Design über längere Zeit, stellt man fest: Häufig wird in einer Phase das Erscheinungsbild stark standardisiert, weil es zu chaotisch geworden sei. In der darauffolgenden Phase wird die Systematik dann wieder gebrochen, mit dem Argument: Das CD braucht mehr Leben und mehr Ausdrucksmöglichkeiten. Man könnte es auch so formulieren: Nach der Party muss aufgeräumt werden, aber wenn alles steril und sauber ist, muss wieder Leben in die Bude! Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch, so sehr er zunächst irritieren mag. Hier handelt es sich nicht um Willkür, sondern um den Wesenskern der Disziplin. Brand Manager (also diejenigen, die das Brand Design operativ betreuen) befinden sich kontinuierlich im Dilemma zwischen notwendiger Konsistenz einerseits und Weiterentwicklung des CDs – und somit Regelbrüchen – andererseits.
  11. Branding wird auch nach über elf Jahren nie langweilig: Diesen Punkt können wir gar nicht genug betonen: Branding betrifft Unternehmen in ihrer ganzen Breite und Tiefe. Daher erleben wir immer wieder neue Herausforderungen, Kontexte und Lösungen – und zwar bei wirklich jedem Projekt von Neuem.

 

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vg 22.04.2022